Alles gut! – Oder vielleicht nicht?
- katjawelters

- 19. Mai
- 3 Min. Lesezeit

Ich verspüre schon seit einiger Zeit das Bedürfnis, über den Satz – oder manchmal auch die vorauseilende Frage – „Alles gut?“ zu schreiben.
Wir alle kennen ihn. Wir begegnen ihm ständig in Alltagsgesprächen. Und meist antworten wir reflexhaft – mit einem knappen „Ja, klar.“, „Passt schon.“, oder eben: „Alles gut.“
Selten folgen darauf ehrliche Einblicke in unser Wohlergehen. Weil wir kaum erwarten, dass echtes Interesse an unserem Innenleben gemeint ist. Und weil wir selbst auch nicht immer bereit sind, die Tür zu öffnen, wenn jemand sie nur flüchtig antippt.
Denn „Alles gut?“ funktioniert oft wie ein Türöffner – oder wie ein Deckel.
Es signalisiert: Ich bin höflich. Ich sehe dich. Aber lass uns nicht tiefer gehen.
Pragmatisch. Schnell. Optimiert. Passt – denn für mehr ist in unserem schnellen Leben vielleicht nicht immer Zeit.
Aber mal ehrlich: Warum sagen wir das eigentlich so oft? Ist es wirklich nur eine Floskel? Oder vielleicht doch eine Art Selbstschutz?
Alles ist gut? Wahrscheinlich nie.
Und genauso wenig ist alles schlecht.
In den meisten Momenten besteht beides gleichzeitig. Und genau das darf auch sein.
Manchmal kommt es darauf an, worauf wir unseren Blick lenken. Ob wir in der Lage sind, Raum für beide Seiten zu schaffen – für das, was leicht ist. Und für das, was schwer wiegt.
Gleichzeitig scheint es, als würde unser Fokus – gerade durch Medien, Social Media, Nachrichten – oft wie automatisch auf das gerichtet, was eben nicht gut ist:
Stress, Krisen, Kriege, Unsicherheit, Überforderung.
Aber wie viel davon können wir überhaupt aufnehmen? Wie viel davon halten und integrieren, bevor wir innerlich überlaufen und das Gefühl für unsere Selbstwirksamkeit verlieren?
Und neben den großen Themen? Der ganz normale Alltag.
Multitasking, To-dos, Dauerbetrieb.
Und da frage ich mich manchmal ganz ehrlich: Wie kommen wir da durch?
Ein möglicher Weg:
Bewusstsein schaffen.
Den eigenen kleinen Teil beitragen.
Weniger konsumieren.
Langsamer leben.
Liebevoller miteinander sein.
Offen bleiben.
Zuhören.
Halt geben.
Verantwortung übernehmen – zuerst für sich selbst.
Aber um diesen Weg überhaupt zu gehen, müssten wir manchmal innehalten. Die Notbremse ziehen. Hinterfragen, wie wir unser Leben eigentlich gerade gestalten. Und ob es wirklich das ist, was uns guttut.
Ein anderer Weg ist:
Augen zu und durch! Es hilft uns durch den Tag, aber es lässt uns nicht wachsen.
Und um durchzuhalten, sagen wir vielleicht: „Alles gut.“
Manchmal funktioniert das – aber zu welchem Preis?
Vielleicht ist dieser Satz also gar nicht leer - keine bloße Floskel. Vielleicht ist er ein Mantra. Ein Versuch, sich selbst Mut zu machen.
Denn wenn unsere Worte unsere Gedanken beeinflussen – und unsere Gedanken unsere Emotionen – dann kann es sogar hilfreich sein, sich selbst zu versichern:
Du schaffst das. Es wird schon. Alles gut.
Aber… was, wenn diese ständige Wiederholung auch den Druck erzeugt, dass es uns gar nicht mehr schlecht gehen darf?
Dass wir uns nicht mehr erlauben, ehrlich zu sagen:
Heute nicht.
Ich bin müde.
Es ist gerade zu viel.
Vielleicht müssten wir uns öfter mal andere Fragen stellen. Nicht nur: „Alles gut?“
Sondern:
Was ist eigentlich gerade gut – für mich?
Und was vielleicht nicht?
Was gibt mir Kraft?
Und was raubt sie mir?
Welche kleinen Dinge tun mir gut – auch wenn ich sie fast heimlich genieße?
Und für welche Dinge schäme ich mich vielleicht ein bisschen – obwohl sie genauso zu mir gehören?
Denn wir sind viele Seiten.
Widersprüche.
Zwischentöne.
Nicht nur Licht oder Schatten – sondern beides.
Und je öfter wir uns erlauben, das anzunehmen, desto freier werden wir.
Nicht perfekt. Nicht immer „alles gut“. Aber (alles) echt.



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