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Die Zeit hinterfragt uns – und wir uns selbst

Die kollektive Angst vor dem Älterwerden


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Neulich unter Freunden:

„Findest du meine Hose altersgerecht? Wir werden ja alle älter. Und heute Morgen hatte ich schon wieder Rückenschmerzen.“


Bitte versteht mich nicht falsch. Dass körperliche Beschwerden mit dem Alter zunehmen können, stelle ich nicht in Frage. Es ist durchaus sinnvoll, sich des eigenen Alters bewusst zu sein – um Symptome besser einordnen oder neue Bedürfnisse wahrnehmen zu können.

Aber: „Wir“? Und „altersgerecht“?


Was, wenn ich glücklich bin mit meinem Alter?

Was, wenn ich dankbar bin für das, was sich verändert hat – nicht, um es schönzureden, sondern weil vielleicht auch mehr Selbstbewusstsein und Ruhe damit einhergehen?

Was, wenn es einfach nur ein mutiger Style war – oder ein schlechter Tag?

 

Die Angst vor der eigenen Vergänglichkeit wird oft ausgelagert. Fast wie ein leiser Hilferuf, den keiner hören will: „Bitte lass mich damit nicht allein!“

Und weil Projektion oft einfacher ist als Selbsterkenntnis, wird dieses Gefühl lieber auf andere übertragen: „Wenn ich mich damit schlecht fühle, dann darf es dir nicht besser gehen.“

 

Verkauft wird uns die Illusion der ewigen Jugend. Und anstatt bewusst im Hier und Jetzt zu leben, schöne Dinge zu genießen und für den Moment dankbar zu sein, rennen wir einem Ideal hinterher – um uns nicht mit dem Gedanken zu beschäftigen, dass nichts für immer ist. Vergänglichkeit eben.


Aber was macht uns denn eigentlich wertvoll? Für uns selbst – und auch für andere?

Wird irgendjemand an unserem Grab sagen: „Ich erinnere mich so gern an sie. Sie hatte ja keine Falte.“?

Oder sind es die gemeinsamen Momente, die zählen? Die, in denen wir gelacht, geweint, Unsinn gemacht haben oder einfach verbunden waren?


Die Gesellschaft hat Angst vorm Älterwerden –und wir tragen diese Angst mit.

Die echte Angst dahinter – die vor Verlust, Einsamkeit, Bedeutungslosigkeit – wird mit „Wir werden halt alt“ überschrieben.


Wir verbringen kostbare Lebenszeit damit, jung und schön zu bleiben. Noch eine Aufgabe. Noch eine Verpflichtung. Noch ein Punkt auf der ewigen To-do-Liste des „Richtigseins“.

Anpassen. Nicht zu laut sein. Nicht zu bunt. Nicht zu sehr auffallen. Nicht aus der Rolle fallen. Und dabei immer irgendwie noch reinpassen – obwohl wir uns vielleicht längst danach sehnen, einfach nur wir selbst zu sein.

 

Vielleicht ist es Zeit, das abzulegen.

Du bist nicht verantwortlich für die Angst der anderen!


Von jedem Tag, den wir älter werden, können wir etwas Wertvolles lernen.

Für jeden Tag, den wir erleben, dürfen wir dankbar sein.

Ich möchte nicht, dass man mich vermisst, weil ich altersgerecht war. Ich wünsche mir, dass Menschen an mich denken, weil ich vielleicht da war, wenn sie mich gebraucht haben. Weil wir gemeinsam gelacht, geweint, uns verbunden gefühlt haben.


Ich wünsche mir, dass ein Bild von mir bleibt –nicht faltenfrei, sondern echt:

Wie ich geredet habe.

Wie ich gedacht habe.

Wie ich gelacht habe, manchmal zu laut.

Wie ich mich bewegt habe.

Was mir wichtig war.

Wie ich mit Vergänglichkeit umgegangen bin.

Und wer mich wirklich gesehen und gehört hat –hinter jeder Falte, hinter jedem Rückenweh, hinter jeder Klage –wird dieses Bild bewahren.


Ob ich dabei gelbe Socken, ein rosa T-Shirt oder eine altersgerechte Hose getragen habe?

Vermutlich irrelevant.


Also: Warum machen wir uns so wahnsinnig mit „Wir werden alt“ – und damit mit einem Ideal, das vielleicht nie unser eigenes war? Vielleicht, weil wir dazugehören wollen. Aber: Zu was genau eigentlich?


Und ganz ehrlich:

Gibt es da vielleicht etwas, das du schon immer für dich tun wolltest –aber noch immer nicht angegangen bist?

Etwas, das dich heimlich begleitet? Und spürst du manchmal, wie die Zeit still und leise weiterrückt…und dich das mehr lähmt als motiviert?

Manchmal trauern wir übers Älterwerden –anstatt den einen Schritt zu gehen, der uns vielleicht genau deswegen jetzt wichtiger denn je ist.

 

Eins steht fest:

Ich hab da echt keinen Bock drauf!

Und ja – vielleicht wird das dann als Midlifecrisis abgestempelt.

Oder als nicht altersgerecht. Schade eigentlich.

Aber ich mach einfach weiter.

Mit der Angst vor meiner eigenen Vergänglichkeit –und mit der Hoffnung, dass es am Ende eine gute Reise gewesen sein wird.

Mit wertvollen Momenten. Mit echten Verbindungen. Und mit dem Gefühl: Ich war da. So, wie ich wirklich war.

 



 
 
 

1 Kommentar

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samesch
09. Mai
Mit 5 von 5 Sternen bewertet.

Jedes Alter ist schön. Nur anders schön. Letztens sagte ich zu meinem Mann im Fitnessstudio: "Wie schön ist es, dass wir nicht mehr trainieren, nur um gut auszusehen. Sondern um uns gut zu fühlen." Das bringt so viel mehr Leichtigkeit und Freude. Ich muss keine imaginären fremden Erwartungen erfüllen.

Was könnten wir in der Welt bewegen, würden wir uns nur mehr den wirklich wichtigen Dingen widmen. Und nicht dem Altern, dem Aussehen und den Selbstzweifeln.

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