top of page

„Du bist doch so…EINZIGARTIG“

 

ree

Wenn du diesen Blog hier liest, dann weißt du wahrscheinlich auch, dass ich mich beruflich mit psychologischer Beratung beschäftige. Und je länger ich mich diesem Thema widme, umso mehr verändert sich meine Art, den Menschen um mich herum zuzuhören.


Besonders die Feiertage am Ende des Jahres haben in meiner Erfahrung großes Potenzial für Konflikte, denn sie sind durchzogen von Traditionen aus unserer Vergangenheit. Wir treffen uns in vielen Fällen mit den Menschen, die uns durch familiäre Verbindungen am nächsten sind, doch zugleich sind es auch diejenigen, die uns in vielerlei Hinsicht geprägt haben.


Sicher, es kommen auch viele Momente und Erinnerungen zusammen, die uns Freude bereiten. Doch es kann passieren, dass wir Augenblicke erleben, die uns emotional berühren oder triggern. Vieles hängt an den oft unausgesprochenen Erwartungshaltungen der einzelnen Personen, und einiges auch an dem Bild, was wir über die Jahre voneinander abgespeichert haben. Auch, wie wir unsere eigene Rolle in diesem Geflecht leben und wahrnehmen, ist hier relevant.


Es passiert immer Mal wieder, dass ein Mitglied dieser Gruppe vielleicht gereizt, traurig, schnippisch oder auf andere Weise emotional reagiert. Oft sind die Reaktionen darauf dann rollende Augen, fragende Blicke und allerlei anderer nonverbaler Kommunikation. Ich habe bis heute nicht erlebt, dass es dadurch besser wird - für keinen der Anwesenden.


Der Höhepunkt sind dann Kommentare wie „Die war doch schon immer so.“, „Du bist schon wieder so…“ oder auch „Jetzt sei doch nicht so!“ Was hier also auch zum Tragen kommt, ist Bewertung.


Wir alle urteilen. Es ist ein zutiefst menschliches Verhalten, das aus einer Mischung biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren resultiert. Bewertungen helfen uns, uns sicher und schnell in der Welt zurechtzufinden. Um Gefahren zu erkennen, einen passenden Partner zu finden, uns in der Gesellschaft zu orientieren und auch um Komplexität zu reduzieren.


Gerade in zwischenmenschlichen Beziehungen kann das jedoch problematisch sein. Sätze wie „Die war doch schon immer so.“ sind nur ein Beispiel für viele andere Varianten, die uns um die Ohren fliegen, ohne dass sich unser Gegenüber dafür zu interessieren scheint was wohl die Beweggründe und Erfahrungen sind, die uns „so“ haben werden lassen, wie wir heute sind.


Sicher, unser Gegenüber hat auch keinerlei Verpflichtung, sich das zu fragen. Aber wäre es nicht manchmal viel interessanter, zu ergründen, was unsere Mitmenschen in solchen Momenten bewegt, statt sie einfach nach unserer Wahrnehmung zu bewerten? Und da wir dies oft nicht tun, wäre es dann nicht zumindest spannend, einen solchen Kommentar zu hinterfragen und als Feedback entgegenzunehmen? So könnten wir besser verstehen, was uns „so“ in der Welt des anderen erscheinen lässt. Wir könnten so viel über uns selbst und über unsere Mitmenschen lernen!


Wenn wir dieses „so“ - sei es zurückgezogen, unruhig, lebensfroh, pessimistisch oder jegliches andere Label – bewusst betrachten, können wir besser nachvollziehen, was es über uns aussagt. Dadurch verstehen wir vielleicht, warum wir handeln wie wir handeln. Im Anschluss können wir, statt Kritik zu üben, etwas Mitgefühl für uns selbst entwickeln. Auf diese Weise beginnen wir mit der Veränderung in uns selbst – und das ist die einzige, die wir wirklich in der Hand haben.


Doch dazu dürfen wir lernen uns besser zu verstehen. Die Herausforderung dabei ist, dass wir auf diesem Weg der Veränderung manchmal eine helfende Hand oder auch ein offenes Ohr gebrauchen könnten, das eben nicht urteilt, sondern uns hilft, uns für genau das zu akzeptieren, was wir sind.


Auch wenn dies zu meinem Alltag gehört, ist es trotzdem jedes Mal schwer, wenn es um mich geht. Ja, so ist das. Doch genau das macht mich zu einem Menschen, der weiß wie schwer es ist, Feedback zu hören und anzunehmen. Der weiß, wie schwer es ist, den Blick nach innen zu wenden. Und der weiß, wie schmerzhaft es sein kann, den Ursprung unseres heutigen Verhaltens nachzuvollziehen. Doch ich weiß auch, wie gut es tut, jemanden an der Seite zu haben, der uns eben nicht bewertet.


Wir sind, was wir sind - jeder ein unverwechselbares Wunder. Mit einer individuellen genetischen Ausstattung und unseren einzigartigen Erfahrungen. Und das allein macht es für mich schon unbeschreiblich spannend, gemeinsam mit dir zu verstehen, was deine Beweggründe sein könnten, die dich eben „so“ sein lassen. Die Veränderung, wenn du sie denn wünschst, kannst nur du in die Hand nehmen! Denn so sehr uns die Bewertungen anderer (und natürlich auch unser eigenen) manchmal das Gegenteil glauben machen: Du bist der einzige Experte in deiner Welt!


Und mit Neugier auf deine Antwort lautet meine heutige Frage: „Was macht dich einzigartig?“

 
 
 

Kommentare

Mit 0 von 5 Sternen bewertet.
Noch keine Ratings

Rating hinzufügen
bottom of page