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Ich bin nicht schön genug!

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Wenn es um das eigene Aussehen geht, stoße ich immer wieder auf großen Selbstzweifel und Schmerz.

Sätze wie „Meine Brust ist nicht straff genug“, „Mein Po ist zu breit“, „Mein Bauch ist zu dick“ oder „Ich bin zu fett“ schleichen sich fast unbemerkt in unseren Alltag ein.

Doch was unausgesprochen bleibt, ist der Schmerz, den solche Sätze im Inneren hinterlassen.


Eine Freundin erzählte mir kürzlich, wie unzufrieden sie mit ihrem Körper sei. Sie wollte eine Sport-App ausprobieren, um „ein paar Kilo“ abzunehmen. Als sie dort ihre Daten eingab, erschien eine Warnung: „Das gewünschte Gewicht liegt im Bereich des Untergewichts.“

Sie war sprachlos. Wie kann das sein, wenn sie doch „nur vier Kilo abnehmen" wollte – und sich gleichzeitig als zu dick wahrnimmt?


Auch die Rückmeldungen ihres Umfelds passten nicht zu ihrem Selbstbild. Zierlich, sehr schlank, sportlich – das klang für sie, als spräche man über eine andere Frau. Die Zahl auf der Waage scheint etwas Fremdes: Unglaube. Anspannung. Eine Distanz zu dem Körper, der ihr so vertraut und doch so fremd ist.

Ein Kampf. Nicht jeden Tag, aber oft genug, um zu zermürben. Kleine Auslöser genügen, um sie wieder in Zweifel und Traurigkeit zu stürzen.


Ebenso in ihrer Beziehung hinterlässt das Spuren.

„Ich möchte gar nicht mehr, dass mein Mann mich anfasst. Wenn er mir ein Kompliment macht, möchte ich weglaufen, weinen oder ihn wegstoßen. Sieht er denn nicht, wie alt, unförmig und hässlich ich bin? Ich habe solche Angst, dass er mich eines Tages betrügt – und ich könnte es ihm nicht einmal verübeln.“


Nähe wird kaum noch möglich oder fühlt sich – trotz Sehnsucht – wie eine Last an. Eine Verpflichtung.


In der Datingwelt zeigt sich dieses Ringen um das eigene Bild besonders deutlich. Zwischen Profilbildern, Filtern und Likes verschwimmt, wer wir wirklich sind. Viele sehnen sich nach Nähe – doch gleichzeitig steckt darin eine unsichtbare Hürde: den eigenen Körper zu zeigen.


Sich wirklich zu zeigen, mit allem, was man ist – Kurven, Makel, Gewicht, Linien und Falten – kann sich wie ein enormes Risiko anfühlen. In der digitalen Welt mag man noch ein Bild bearbeiten oder verbergen, doch in der Begegnung von Angesicht zu Angesicht bleibt nichts verborgen. Und plötzlich steht man da, mit Haut und Wahrheit, und fragt sich: Bin ich genug? Wird dieser Körper akzeptiert?


Diese Angst kann so stark sein, dass sie uns lähmt. Manchmal erscheint es sicherer, sich gar nicht erst zu zeigen, die eigene Präsenz zu reduzieren, um die Möglichkeit der Ablehnung auszuhalten. Und tief darunter liegt die leise, aber beständige Sorge: Was, wenn mich niemand so will, wie ich bin?


Vielleicht beginnt Heilung nicht indem man diese Angst sofort überwindet, sondern indem man zulässt, dass sie da ist. Dass Nähe Angst machen darf, dass wir nicht perfekt sein müssen, um gesehen zu werden. Dass wir, mit allem, was wir sind, überhaupt erst die Chance bekommt, wahrgenommen zu werden.


Ja, wir werden bewertet – online, im Alltag, in Beziehungen. Aber das eigentliche Problem liegt nicht bei den Blicken anderer, sondern in der Bewertung, die wir uns selbst geben.

Was wir uns selbst nicht erlauben zu sagen, zu fühlen oder zu akzeptieren, können wir auch von außen kaum annehmen. Selbstliebe ist nicht nett, sie ist die Voraussetzung dafür, dass Nähe, Anerkennung oder Komplimente überhaupt wirken können, ohne Schmerz auszulösen.


Meine Freundin ist inzwischen in Psychotherapie. Denn was hinter diesen Gedanken steckt, ist keine Eitelkeit. Es sind alte Wunden, fehlender Selbstwert, verlorene Selbstliebe – und ein Schmerz, der irgendwann zu schwer wurde, um ihn allein zu tragen.


Doch was können wir sonst noch tun, wenn der Blick auf sich selbst so weh tut?


Vielleicht liegt der Weg nicht darin, diese Gedanken zu bekämpfen oder auszumerzen – sondern darin, ihnen zuzuhören. Sie als Wegweiser zu betrachten: als Hinweise auf Orte in uns, die gesehen und geheilt werden wollen.

Die Zweifel sind nicht der Feind, sondern Echos eines alten „Wenn ich nur …“ – aus Zeiten, in denen wir glaubten, erst dann genug zu sein, wenn wir gefallen.


Wir können beginnen, anders mit uns zu sprechen. Freundlicher. Geduldiger.

So, wie wir mit jemandem sprechen würden, den wir lieben, auch wenn er gerade strauchelt. Wie ich es mit meiner Freundin tue, wenn sie weinend vor mir sitzt.

Vielleicht magst du für einen Moment spüren, wie sich Angst und Sehnsucht nebeneinander anfühlen, ohne dass eine Lösung sofort bereitstehen muss.

Oder du möchtest einen Moment innehalten und spüren: Was sagst du dir selbst, wenn niemand hinsieht?

Und vielleicht spürst du selbst, wie es ist, diese Freundlichkeit zunächst nur innerlich zu üben.

Das ist kein Zaubertrick. Aber ein Anfang.


Und wir dürfen uns daran erinnern, dass niemand diesen Weg allein gehen muss.

Therapie oder psychologische Begleitung kann eine wichtige Stütze sein – besonders dann, wenn der eigene Körper zur Quelle ständiger Selbstkritik geworden ist. Hilfe anzunehmen, ist kein Zeichen von Schwäche. Es bedeutet, Verantwortung für sich zu übernehmen.


Denn vielleicht beginnt Schönheit dort, wo der Kampf aufhört.

Wo wir uns nicht länger messen, sondern wahrnehmen.

Und wo wir – Stück für Stück – wieder lernen, uns zu vertrauen.

 
 
 

2 Kommentare

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Frieland der Schmied
25. Okt.
Mit 5 von 5 Sternen bewertet.

Ich kann das gut nachempfinden. Und wenn man an sich was schön findet, wird man komisch angeschaut. Und sogar für einen Narzissten gehalten. Bei mir ging es um meine Beine. Auf die ich wirklich stolz war. Ich war jung, ich war trainiert, Dann hat mich ein Hund ins Bein gebissen, Fette Narbe, schön dunkelbraun, Wie man sich eine fiese Narbe so vorstellt. Und ich habe später beim Therapeut/-en/-in den Satz fallen lassen, in traurig-bedauerndem Ton :"Meinen schönen Beine ... " Da sind die Augen aufgesprungen, als hätte ich das unglaublichste gesagt. Stolz auf sich sein? Nein, das geht nicht. Nicht mal in (dieser) Therapie. Als ob man nur Probleme mit sich haben dürfte. Klar hab ich die auch. Mein Hals ist zu…

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katjawelters
katjawelters
29. Okt.
Antwort an

Hallo Frieland,

ich finde, du schreibst etwas sehr Wichtiges über Akzeptanz. Es gibt Teile, die man vielleicht nicht so mag – und gleichzeitig solche, die man schön findet.

Dein letzter Satz hat mich besonders berührt: ‚Du bist schön. Du darfst es Dir erlauben, das auch zu sehen!‘

Der Gedanke, Schönheit wirklich wahrzunehmen – im Detail, im eigenen Blick – hat etwas Stilles, Versöhnliches.

Danke, dass du deine Sicht geteilt hast und dass du deine persönliche Erfahrung geschildert hast.

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