„Und, wann ist es bei dir so weit?“
- katjawelters

- 26. Juli
- 3 Min. Lesezeit
Oder: „Noch ein Kind? Du hast doch schon zwei.“

Ein persönlicher Blick auf Grenzüberschreitungen im Umgang mit dem Kinderwunsch
Neulich war ich mit einer Kollegin unterwegs, als wir auf eine ihrer Bekannten trafen. Die beiden kannten sich eher flüchtig und es war keine enge, vertrauensvolle Beziehung.
Die beiden Frauen tauschten ein paar freundliche Worte aus: „Wie geht’s?“, „Lange nicht gesehen.“ Die Bekannte erwähnte, dass ihre Kinder nun die Schule gewechselt hätten.
Soweit, so alltäglich.
Doch dann fiel ein Satz, der mich innerlich zusammenzucken ließ:
„Und, wann ist es denn bei dir so weit?“
Eine beiläufige Frage mit großer Wirkung
Diese scheinbar beiläufige Frage zielte, unausgesprochen, aber deutlich, auf das Thema Kinderwunsch. Was mich irritierte, war nicht nur der Inhalt der Frage, sondern ebenso der Kontext, in dem sie gestellt wurde:
Eine Person, die nicht in einer vertrauten, emotional getragenen Beziehung mit meiner Kollegin steht, stellt eine Frage, die tief ins Persönliche reicht. Eine Frage, die potenziell sehr verletzend sein kann, je nachdem, welche Geschichte dahintersteht.
Ich musste in dem Moment selbst kurz innehalten:
Ich wusste gar nicht, wie meine Kollegin zu diesem Thema steht. Obwohl wir uns gut verstehen, viel Zeit miteinander verbringen und offen über Herausforderungen sprechen – dieses Thema war bisher nie aufgetaucht. Vielleicht, weil es für sie keines ist. Vielleicht, weil es (noch) keinen Raum bekommen hat. Oder vielleicht, weil es zu persönlich ist.
Zwischen Mitgefühl und Grenzüberschreitung
Was mich wirklich betroffen gemacht hat, war die Unbedachtheit, mit der diese Frage gestellt wurde. Sie klang fast wie ein Appell, wie eine Erwartung – als wäre es an der Zeit.
Dabei ist genau das der Punkt:
Wer bestimmt eigentlich, wann „die Zeit“ gekommen ist?
Und vor allem:
Was, wenn dieser Wunsch gar nicht besteht?
Oder noch schmerzhafter:
Was, wenn der Wunsch da ist, aber sich nicht erfüllt?
Was, wenn schon so viele Tränen geflossen sind, so viele stille Hoffnungen enttäuscht wurden? Was, wenn da längst Schmerz, Selbstzweifel oder Scham Raum eingenommen haben?
In solchen Momenten wird deutlich: Wir müssen uns bewusster machen, wie mächtig Worte sein können, gerade wenn wir nicht wissen, was im Inneren eines anderen Menschen vorgeht.
Gesellschaftliche Erwartungen versus individuelle Lebenswege
In unserer Gesellschaft scheint es oft unausgesprochen klar: Frauen zwischen Mitte 20 und Mitte 30 müssen irgendwann Kinder bekommen.
Aber warum eigentlich?
Und wer entscheidet das?
Diese Annahmen drücken Menschen (bewusst oder unbewusst) in Rollen, die nicht jedem gerecht werden. Es gibt viele Gründe, warum sich jemand gegen Kinder entscheidet, oder sie sich sehnlich wünscht, aber sie nicht bekommt. In all diesen Fällen braucht es vor allem eines:
Respekt vor der individuellen Lebensrealität.
Anstatt zu fragen:
„Und, wann ist es bei dir so weit?“, könnten wir einfach fragen:
„Wie geht es dir?“
Und dann zuhören. Raum lassen. Nicht erwarten, bewerten oder drängen. Denn der Wert eines Menschen bemisst sich nicht an gesellschaftlichen Normen oder an vermeintlich „richtigen“ Lebensentscheidungen.
Was wir nicht sehen, sollten wir nicht beurteilen
Wir wissen oft nicht, welchen Weg jemand gegangen ist, welchen Schmerz er oder sie mit sich trägt, welche Prioritäten jemand setzt. Und gerade dort, wo ein Wunsch offen bleibt oder nicht erfüllt wird, braucht es Mitgefühl – nicht Erwartung.
Es ist nicht unsere Aufgabe, Menschen an äußeren Maßstäben zu messen. Sondern ihnen zu begegnen. Als ganze, wertvolle Personen. Unabhängig davon, ob sie Kinder haben (wollen) oder nicht.
Denn, ob freier Wille, unerfüllter Wunsch oder andere Lebensprioritäten:
Menschen möchten gesehen werden. Nicht bewertet.
Und das ist nur eine Seite dieser Medaille. Das Gleiche geschieht nämlich auch in die andere Richtung, wenn jemand sagt: „Noch ein Kind? Du hast doch schon zwei.“
Ich frage mich, warum wir manchmal meinen, mitentscheiden zu dürfen, wie andere ihr Leben gestalten.
Vielleicht sollten wir uns stattdessen einfach mitfreuen.
Mitfühlen.
Mitweinen.
Den Raum halten.
Denn das Leben ist auch an vielen anderen Stellen nicht immer einfach. Und manchmal ist Zuhören der größte Ausdruck von Mitmenschlichkeit, den wir jemandem schenken können.
Und gerade weil oberflächliche Kontakte heute so häufig geworden sind, ist es umso wichtiger, dass die Menschen, die uns wirklich nahestehen, uns auffangen – dort, wo wir verletzlich sind. Und eben nicht in die gleiche Kerbe schlagen. Denn wie die Überschrift schon vermuten ließ: Recht machen werden wir es nie allen – aber respektvoll begegnen, das können wir jederzeit.



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