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Von Wut, Ohnmacht und auch Dankbarkeit

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Warum manche Systeme Menschen nicht erreichen – und was das mit uns macht


Wir sprechen oft über „das System“ – meist dann, wenn es anstrengend wird. Jobcenter, Gesundheitswesen, Behördenstrukturen. Und ja, nicht alles läuft so, wie man es sich im 21. Jahrhundert wünschen würde. Prozesse sind langwierig, Informationen widersprüchlich, die Kommunikation stockend. Es wirkt willkürlich und überfordernd – und das kostet Kraft.


Dabei liegt dem Ganzen eigentlich ein Prinzip zugrunde, das wir als Gesellschaft teilen sollten: Menschen zu unterstützen, die in schwierigen Lebenslagen stecken. Doch genau das funktioniert nicht immer. Besonders dann nicht, wenn Menschen in ihrem Tempo, mit ihren Sorgen und ihrer Geschichte nicht in die vorgefertigten Abläufe passen.


In meinem beruflichen Alltag begegne ich vielen dieser Menschen. Sie sind nicht laut. Sie fordern nicht ständig. Sie versuchen, ihren Weg zu gehen – und trotzdem werden sie oft nicht erreicht. Manche kämpfen mit gesundheitlichen Einschränkungen, psychischer Belastung, sozialer Isolation oder traumatischen Erfahrungen. Für viele ist der Weg zurück ins Arbeitsleben nicht nur eine organisatorische Frage – sondern ein existenzieller Prozess, der viel innere Arbeit erfordert.


Und hier stoßen gut gemeinte Maßnahmen an ihre Grenzen.

Denn Lebenslauf schreiben, Bewerbungen trainieren, Bewerbungsgespräche üben – all das ist wichtig. Aber es greift zu kurz, wenn der Selbstwert brüchig ist, das Vertrauen in andere fehlt oder existenzielle Sorgen jede Energie auffressen.


Diese Menschen brauchen mehr als eine Maßnahme. Sie brauchen Zeit. Beziehung. Stabilität. Und ein System, das nicht nur auf Zahlen, Quoten und kurzfristige Erfolge schaut.


Doch genau das fehlt oft.


Und das hinterlässt bei uns – den Begleitenden, Beratenden, Unterstützenden – ein Gefühl von: Ohnmacht.

Ohnmacht, weil man sieht, wie viel Mut manche Menschen aufbringen, um überhaupt wieder zu träumen.

Ohnmacht, weil Maßnahmen enden, bevor Entwicklung wirklich greifen kann.

Ohnmacht, weil das System weiterläuft – egal, wie es dem Einzelnen geht.


Natürlich gibt es auch andere Geschichten. Menschen, die durch Angebote gestärkt werden. Fachkräfte, die mit Kompetenz und Herz Räume schaffen, in denen Veränderung möglich ist. Und diese Geschichten machen Mut. Aber sie ändern nichts an der strukturellen Schieflage: Dass oft genau jene durchs Raster fallen, die am dringendsten Halt bräuchten.


Was also braucht es?

Ich glaube: mehr Verständnis dafür, dass Entwicklung nicht standardisierbar ist. Dass nicht jede Geschichte mit „Job gefunden“ endet – und dass es manchmal schon ein Erfolg ist, wenn jemand sich überhaupt wieder öffnet.


Wir brauchen ein System, das Menschlichkeit nicht als Bonus sieht, sondern als Voraussetzung. Das Beziehung erlaubt. Und das anerkennt, dass nicht alle die gleiche Startlinie haben.


Gleichzeitig braucht es einen klugen und zielgerichteten Einsatz von Ressourcen – weniger Bürokratie, mehr Unterstützung direkt bei den Menschen. Denn Geld ist vorhanden, fließt aber oft nicht dahin, wo es wirklich Wirkung entfaltet.


Neben der Wut über das, was nicht funktioniert, bleibt für mich aber auch etwas anderes: Dankbarkeit.

Für die Menschen, die sich jeden Tag einsetzen – für andere und für sich selbst. Für den Mut, trotz Rückschlägen weiterzumachen. Für die vielen leisen, wertvollen Begegnungen, die mein Arbeitsalltag mit sich bringt.

Und auch die Erkenntnis, dass wir trotz aller Herausforderungen in einem Sozialstaat leben, der vielen Menschen wenigstens ein Mindestmaß an Sicherheit und Unterstützung bietet – auch das ist nicht selbstverständlich.


Oft ist es eben nicht der große Wandel, der berührt – sondern der Moment, in dem jemand wieder an sich glaubt.

Und genau das ist es, was mir immer wieder zeigt: Es lohnt sich, dranzubleiben. Auch wenn wir nicht alles ändern können – wir können begleiten. Und manchmal ist genau das der Unterschied.

 

 
 
 

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