Nähe - mal anders
- katjawelters
- 21. Apr.
- 3 Min. Lesezeit

Wir sagen: „Ich sehne mich nach Nähe.“ - Aber was meinen wir damit eigentlich?
In meiner Erfahrung denken viele an Partnerschaft – an romantische Liebe, intime Berührung, körperliches Beisammensein. Doch Nähe ist so viel mehr. Es gibt emotionale Nähe. Intellektuelle. Soziale. Spirituelle. Körperliche. Sexuelle. Und oft erwarten wir, dass eine einzige Person uns all das geben kann.
Doch was, wenn sie oder er das eben gar nicht schaffen kann? Wie können wir erwarten, dass wir in all diesen Bereichen mit einer Person möglichst viele Gemeinsamkeiten haben – oder eine tragbare Menge an Kompromissen eingehen, damit es funktioniert?
Was, wenn Nähe ein Puzzle ist, das sich aus vielen Teilen zusammensetzt – aus Freundschaft, Familie, Gemeinschaft, Körperkontakt, Leidenschaft, geistigem Austausch?
Die romantische Monokultur
Viele von uns tragen das Bild in sich: Der oder die Eine wird mich ganz erfüllen. Doch dieses Bild ist nicht nur überholt – es setzt uns auch massiv unter Druck.
Und früher oder später werden wir mit dem Satz konfrontiert: „Du musst erst dich selbst lieben!“ Doch haben wir wirklich verstanden, was das bedeutet?
Wir erhoffen uns, dass wir uns endlich „komplett“ fühlen – durch einen anderen Menschen. Geprägt von diesem romantischen Bild, glauben wir: Wenn ich endlich jemanden finde, dann...
Aber oft lieben wir uns selbst nicht einmal. Wir sind uns selbst fremd. Wissen nicht, was wir wirklich wollen. Zweifeln an unserem Selbstwert. Fühlen uns mangelhaft – und hoffen, dass Nähe von außen all das „wieder gut macht“.
Was, wenn wir anfangen, Nähe zu differenzieren – und bewusster zu gestalten?
Was wäre, wenn wir wählen dürften?
Was, wenn ich meine emotional tiefsten Gespräche mit einem Freund oder einer Schwester führe –intellektuell angeregt werde von Kolleg:innen oder inspirierenden Projekten –und körperliche Nähe in einer Beziehung lebe, die genau das trägt, was beide Seiten sich wünschen?
Muss Liebe alles abdecken? Oder dürfen wir Nähe endlich plural denken?
Treten wir nicht mit jedem Menschen, der uns ein Stück auf unserem Weg begleitet, einzigartig in Verbindung? Warum also diese eine Idee von Partnerschaft – und die Vorstellung, dass Liebe uns nur dann erfüllt, wenn sie alle unsere Bedürfnisse abdeckt?
Aber was macht dann eine (Liebs)Beziehung aus?
Wenn Nähe auf unterschiedlichen Ebenen gelebt werden darf –was braucht es dann, damit eine Beziehung tragfähig bleibt?
Und was genau beinhaltet sie denn dann – neben Sexualität und körperlicher Nähe?
Vielleicht geht es nicht mehr um alles mit einer Person –sondern um Ehrlichkeit, Klarheit und bewusste Wahl.
Darum, dass wir uns selbst und einander zumuten dürfen:
Was brauche ich?
Was kannst du geben?
Was wollen wir gemeinsam gestalten?
Und was ist mit sexueller Nähe?
Wenn wir Nähe differenzieren – emotional, intellektuell, körperlich, spirituell –bleibt die Frage: Was bedeutet dann noch sexuelle Nähe?
Ist sie einfach „nur“ körperlicher Ausdruck von Lust?
Ein Bedürfnis, das wir wie ein Puzzle-Stück mit jemandem teilen, der gerade da ist?
Oder ist da nicht mehr?
Viele Menschen erleben Sexualität nicht losgelöst – sondern als etwas zutiefst Verbindendes. Etwas, das Nähe nicht nur ausdrückt, sondern sie erst erschafft. Oder intensiviert. Oder heilt.
Und ja, vielleicht gibt es auch das andere: Begegnungen, in denen die körperliche Ebene ganz bewusst im Mittelpunkt steht – frei von emotionalem Anspruch. Solange das aufrichtig kommuniziert wird, kann das ebenso Nähe sein – auf einer ganz eigenen Frequenz.
Doch vielleicht geht es gar nicht um ein entweder–oder.
Sondern vielmehr um die Frage:
Was braucht diese Art von Nähe, damit sie sich für dich wirklich richtig anfühlt?
Manche würden sagen: Vertrauen.
Andere: Sicherheit.
Vielleicht ist es Ehrlichkeit.
Zugewandtheit.
Zeit.
Oder einfach nur das Gefühl, gesehen und geachtet zu werden –auch dann, wenn man sich wieder loslässt.
Sexuelle Nähe kann vieles sein – leidenschaftlich, zärtlich, befreiend, verspielt, ernst, heilend. Sie ist kein Lückenfüller, wenn andere Arten von Nähe fehlen – sondern ein Teil der Ganzheit, der gesehen werden will.
Und auch sie darf bewusst gestaltet werden. Nicht als letzter Rest, den man irgendwie „unterbringt“. Sondern als etwas, das Raum bekommt – in aller Komplexität, Sehnsucht und Kraft.
Vielleicht ist genau das wahrhaftige Nähe
Sicherlich wäre es naiv zu glauben, dass das ein Weg ohne Reibung, ohne Sehnsucht oder schwierige Gespräche ist.
Ob es der bequemere Weg ist? Vermutlich nicht. Aber vielleicht der wahrhaftigere.
Denn er fordert uns immer wieder dazu auf, in echte Verbindung mit uns selbst zu treten. Unsere Bedürfnisse zu spüren, sie klar und differenziert wahrzunehmen – und auch auszuhalten, wenn sie nicht sofort erfüllt werden können.
Und letztendlich ist es vielleicht genau diese Bindung mit uns selbst, die es uns ermöglicht, freier zu lieben. Mehr Nähe zu gestalten – als es uns eine einzige Person je geben könnte.
Ehrlich, bewusst und mutig.
Wie wir Nähe leben, bleibt eine ganz persönliche Entscheidung. Doch eines steht fest:
Wir selbst sind es, die uns in all diesen Erfahrungen wirklich immer nah sind – oder es zumindest sein sollten.
Liebe Katja, du hast wieder einmal einen wunderbar differenzierten Artikel verfasst aus dem viel Lebenserfahrung und ein reiches Literaturstudium spricht ich danke Dir ganz herzlich dafür.
Frohe Ostern Monika